Cannabis wird seit Jahrtausenden als Heilmittel verwendet und ist tief in der Geschichte der Menschheit verwurzelt. Bevor synthetische Substanzen wie Opioide, Neuroleptika, Benzodiazepine und Antidepressiva die moderne Pharmakotherapie dominierten, war Cannabis ein etabliertes Arzneimittel in der westlichen Schulmedizin. Erst mit der zunehmenden Stigmatisierung verlor der Cannabispatient an Bedeutung.
Die Wurzeln in China
Bereits im chinesischen Arzneibuch „Pen-ts’ao ching“, verfasst im 1. Jahrhundert n. Chr., wurde Cannabis als Heilpflanze beschrieben. Diese Aufzeichnungen basieren auf mündlichen Überlieferungen, die bis ins Jahr 2700 v. Chr. zurückreichen. Cannabis wurde vor allem gegen rheumatische Schmerzen und Verdauungsprobleme eingesetzt [1].
Religiöse und medizinische Bedeutung in Indien
In Indien spielte Cannabis eine zentrale Rolle, sowohl religiös als auch medizinisch. Im „Atharva Veda“, einer der heiligen Schriften des Hinduismus, wird Cannabis als Quelle von Glück und Freiheit verehrt. Medizinisch fand es seit ca. 1000 v. Chr. breite Anwendung, unter anderem zur Schmerzlinderung bei Neuralgien und Kopfschmerzen, als Krampflöser bei Epilepsie und Tetanus sowie als Beruhigungsmittel bei Angstzuständen und Hysterie. Darüber hinaus wurde Cannabis als entzündungshemmend, antibiotisch, antiparasitär und verdauungsfördernd beschrieben [1, 2].
Cannabis in Tibet, Mesopotamien, Persien
In Tibet galt Cannabis traditionell als heilig und wurde im tantrischen Buddhismus zur Erleichterung der Meditation genutzt. Die Assyrer verwendeten Cannabis seit dem 9. Jahrhundert v. Chr. als Räucherwerk gegen verschiedene Beschwerden. Auch die Perser schätzten Cannabis, insbesondere seine biphasische Wirkung, und unterschieden zwischen einer euphorischen und einer dysphorischen Wirkung [3, 4].
Anfänge der westlichen Medizin
Im 19. und 20. Jahrhundert breitete sich die medizinische Nutzung von THC von Indien über Europa bis nach Nordamerika aus. Bereits 1860 wurde in den USA die erste klinische Konferenz zu Cannabis abgehalten. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden in Europa und den Vereinigten Staaten mehr als 100 wissenschaftliche Artikel über den therapeutischen Nutzen von Cannabis veröffentlicht. Etablierte Pharmaunternehmen wie Merck (Deutschland), Burroughs-Wellcome (England), Bristol-Meyers Squibb (USA), Parke-Davis (USA) und Eli Lilly (USA) vermarkteten Cannabis-Extrakte oder Tinkturen [3].
Im Jahr 1924 fasste die Sajous‘ Analytic Cyclopedia of Practical Medicine die medizinischen Einsatzgebiete von Cannabis in drei Hauptkategorien zusammen:
1. Beruhigungsmittel und Schlafmittel
- Schlaflosigkeit
- Altersbedingte Schlafstörungen
- Melancholie
- Manie
2. Schmerzmittel (Analgetikum)
- Kopfschmerzen
- Migräne
- Beschwerden während der Wechseljahre
- Neuralgien (Nervenschmerzen)
- Multiple Neuritis (Nervenentzündungen)
- Tic douloureux (schmerzhafter Gesichtskrampf)
- Hirntumoren
- Dysmenorrhö (schmerzhafte Menstruation)
- Menorrhagie (starke Menstruationsblutungen)
- Rheumatismus
- Chronische Entzündungen
3. Weitere Anwendungsbereiche
- Appetitanregung
- Verbesserung der Verdauung
- Anorexie
- Magenneurosen (funktionelle Magenstörungen)
- Sexuelle Atonie bei Frauen
- Impotenz bei Männern [3]
Cannabis in der Wissenschaft: Ein Überblick
Die wissenschaftliche Forschung zur Cannabis-Therapie hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Seit 2013 wurden mehr als 30.000 wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema veröffentlicht. Insgesamt gibt es bereits über 45.000 Studien, die bis ins Jahr 1840 zurückreichen. Besonders bemerkenswert: Im Jahr 2023 wurden zum dritten Mal in Folge über 4.000 neue Studien veröffentlicht.
Die Entwicklung in der Cannabisforschung zeigt, dass das Interesse der Wissenschaftler in den letzten Jahren exponentiell gestiegen ist. Auch unser Verständnis der Pflanze, ihrer Wirkstoffe und Wirkmechanismen hat sich erheblich vertieft.
Literaturverzeichnis
[1] Touwn M. The religious and medicinal uses of Cannabis in China, India and Tibet. J Psychoactive Drugs 1981;13(1):23-34.
https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/02791072.1981.10471447 (Stand: 02.05.2024)
[2] Mikuriya TH. Marijuana in medicine: past, present and future. Calif Med 1969;110(1):34-40.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1503422/ (Stand: 02.05.2024)
[3] Zuardi AW. History of cannabis as a medicine: a review. Braz J Psychiatry. 2006 Jun;28(2):153-7. doi: 10.1590/s1516-44462006000200015. Epub 2006 Jun 26. PMID: 16810401.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/16810401/ , https://www.scielo.br/j/rbp/a/ZcwCkpVxkDVRdybmBGGd5NN/?lang=en (Stand: 02.05.2024)
[4] Mikuriya TH. Marijuana in medicine: past, present and future. Calif Med 1969;110(1):34-40.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1503422/ (Stand: 02.05.2024)
[5] Fankhauser M. History of cannabis in Western Medicine. In: Grotenhermen F, Russo E, eds. Cannabis and Cannabinoids. New York: The Haworth Integrative Healing Press; 2002. Chapter 4. p. 37-51.
https://www.scielo.br/j/rbp/a/ZcwCkpVxkDVRdybmBGGd5NN/?lang=en (Stand: 02.05.2024)