- PTBS-Symptome und die Cannabis-Therapie
- Das Endocannabinoid-System und seine Rolle bei der Behandlung von PTBS
- Forschungsergebnisse zum Endocannabinoid-System
- Therapeutisches Potenzial von Cannabis bei der Traumabewältigung
- Studien zur Wirkung von Cannabis bei Soldaten mit PTBS
- Chancen und Risiken der Traumatherapie mit Cannabinoiden
- Literatur
Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) gehen mit schweren Symptomen wie Angst, Schlafstörungen und belastenden Erinnerungen einher. Da herkömmliche Therapien oft nicht ausreichen, rückt Cannabis in der Medizin als mögliche Behandlungsoption in den Fokus.
Das Endocannabinoid-System (ECS) spielt eine Schlüsselrolle bei der Stressbewältigung und könnte durch Cannabinoide wie THC und CBD positiv beeinflusst werden. Studien zeigen, dass PTBS-Patient:innen oft veränderte Endocannabinoid-Spiegel haben, was auf ein therapeutisches Potenzial von Cannabis hinweist.
Dieser Beitrag beleuchtet aktuelle Forschungsergebnisse und diskutiert Chancen sowie Risiken einer Cannabinoid-Therapie bei PTBS.
PTBS-Symptome und die Cannabis-Therapie
Ziel
Reduktion von Albträumen, Schlafproblemen, Angst und Hyperarousal[4][5].
Wirkung
THC & CBD dämpfen die Überreaktivität der Amygdala und verbessern die Emotionsregulation[3][9].
ECS
PTBS-Patient:innen zeigen erhöhte CB1-Rezeptoren & verringerte Anandamid-Spiegel – Zeichen für gestörte Stressregulation[2][3].
Wichtige Terpene
- Linalool: anxiolytisch[13]
- Myrcen: schlaffördernd[13]
- Caryophyllen: entzündungshemmend, angstlösend[13]
- Bisabolol: beruhigend, antidepressiv[13]
Risiken
Bei hoher THC-Dosis oder psychischer Vorbelastung Risiko für Nebenwirkungen oder Abhängigkeit[10][11].
Studienlage
Mehrere Studien zeigen signifikante Symptomreduktion bei PTBS – u. a. durch THC, CBD oder Nabilon[4][5][6][7][8][9].
Wirkungsüberblick von THC und CBD auf typische PTBS-Symptome
Die obige Grafik veranschaulicht das potenzielle Wirkspektrum von THC und CBD bei posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS). Grundlage sind wissenschaftliche Erkenntnisse über die Beteiligung des Endocannabinoid-Systems an Symptomen wie Angst, Schlafstörungen, Reizempfindlichkeit und Albträumen sowie deren mögliche Beeinflussung durch Cannabinoide (Quellen: [1]–[13]).
Das Endocannabinoid-System und seine Rolle bei der Behandlung von PTBS
Das Endocannabinoid-System (ECS), welches in stressanfälligen Bereichen des Hypothalamus sowie in limbischen Strukturen wie der Amygdala vorkommt, spielt eine zentrale Rolle bei der Regulation neuroendokriner und verhaltensbezogener Reaktionen auf Stress. Es wird zunehmend vermutet, dass Cannabinoide sowohl bei der Furchtauslöschung als auch bei antidepressiven Effekten eine Rolle spielen könnten. Jüngste Studien unterstützen die Hypothese, dass das ECS auch an der Pathophysiologie der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) beteiligt ist.
Bereits 2003 zeigte eine Studie des Max-Planck-Instituts, dass das ECS eine zentrale Rolle bei der Auslöschung unangenehmer Erinnerungen spielt [1]. Mäuse ohne CB1-Rezeptoren zeigten eine beeinträchtigte Furchtauslöschung, was die potenzielle Rolle von Cannabis in der Behandlung von PTBS unterstützt.
Das ECS als Brücke zwischen Trauma, Angst und Therapie
Das Endocannabinoid-System wirkt demnach wie ein neurochemischer Puffer gegenüber übermäßiger Stressaktivierung. Gerade bei PTBS ist die Reaktivität der Amygdala – dem „Alarmsystem“ im Gehirn – oft übersteigert. Cannabinoide wie THC und CBD können diese Übererregung dämpfen, was sich in einer besseren emotionalen Regulation äußern kann. Neuere Untersuchungen legen nahe, dass Cannabis nicht nur Symptome lindert, sondern auch neurobiologisch die Verarbeitung traumatischer Reize verändert [13].
Forschungsergebnisse zum Endocannabinoid-System
Mehrere Studien zeigen, dass bei Patient:innen mit PTBS eine dysregulierte Endocannabinoid-Aktivität vorliegt. Dies betrifft insbesondere:
- eine erhöhte Dichte von CB1-Rezeptoren in Hirnregionen wie Amygdala und präfrontalem Cortex,
- sowie signifikant verringerte periphere Anandamid-Spiegel (AEA).
Diese Kombination – ein sogenannter „rezeptiver Überschuss“ bei gleichzeitiger Mangelversorgung mit körpereigenen Liganden – spricht für einen gestörten endogenen Cannabinoid-Tonus [2][12].
Eine aufschlussreiche Studie von Neumeister et al. (2013) mit PTBS-Patient:innen belegte mithilfe von PET-Scans genau diesen Mechanismus: CB1-Rezeptoren waren hochreguliert, während Anandamidspiegel im Blut erniedrigt blieben [12]. Dies könnte eine biologische Grundlage für die häufig berichtete Reizempfindlichkeit und emotionale Dysregulation bei PTBS sein.
Zusätzliche Daten liefern Hinweise auf eine reduzierte Stressresistenz bei PTBS: In einer Untersuchung der University of Wisconsin-Madison wiesen betroffene Personen nach körperlichem und psychosozialem Stress niedrige Spiegel von Anandamid, 2-AG und Oleylethanolamid auf [3]. Diese Moleküle gelten als natürliche Stressmodulatoren und sind bei gesunden Menschen während Belastungssituationen erhöht – ein Anstieg, der bei PTBS offenbar ausbleibt.
Therapeutisches Potenzial von Cannabis bei der Traumabewältigung
Cannabisprodukte könnten zur Linderung verschiedener PTBS-Symptome beitragen. Mögliche positive Effekte umfassen die Reduzierung der Intensität und der emotionalen Auswirkungen traumatischer Erinnerungen. Dadurch könnten Patient:innen von besserem Schlaf, geringeren Angstzuständen und einer allgemeinen Entspannung profitieren.
Dabei scheinen Cannabinoide und Terpene nicht nur Symptome kurzfristig zu lindern, sondern neurobiologische Prozesse zu modulieren, etwa durch eine gedämpfte Reaktivität der Amygdala, eine gestärkte synaptische Plastizität oder eine unterstützte Extinktion (Auslöschung) traumatischer Reize [13].
Cannabis wirkt nicht störend auf Psychotherapie – sondern kann sie sogar ergänzen
Eine wichtige Erkenntnis für die Behandlungspraxis: Entgegen früherer Befürchtungen steht der Einsatz von medizinischem Cannabis einer traumafokussierten Psychotherapie nicht im Weg. Eine Studie aus dem Jahr 2013 zeigte bereits, dass selbst ein regelmäßiger Cannabiskonsum den therapeutischen Erfolg nicht mindert – im Gegenteil, Patient:innen mit Cannabisbehandlung erzielten sogar vergleichbare oder bessere Fortschritte im Umgang mit Trauma-Folgen [12]. Dies stärkt die Rolle von Cannabis als mögliche unterstützende Maßnahme innerhalb eines integrativen Behandlungskonzepts.
Hindocha et al. (2020) fanden zudem heraus, dass medizinisches Cannabis in Querschnittsstudien eine Verringerung der PTBS-Symptomatik bewirken kann [4]. Eine offene Studie von Roitman et al. (2014) zeigte, dass sublinguale THC-Gaben (5 mg, zweimal täglich) über drei Wochen die globale Symptomschwere, Schlafqualität und Albtraumfrequenz verbesserten [5].
Zusätzlich belegen mehrere Studien die Wirksamkeit synthetischer Cannabinoide wie Nabilon bei der Reduzierung von Albträumen und der Verbesserung der Schlafqualität. In einer retrospektiven Kohortenstudie wurden klinische Daten von 11 Patient:innen mit PTBS analysiert, die variable Dosen von CBD erhielten. Zehn dieser 11 Patient:innen berichteten über eine allgemeine Abnahme der Schwere ihrer PTBS-Symptome [6].
Cannabis bei komorbiden Beschwerden wie Schlaflosigkeit und Angst
Viele Menschen mit PTBS leiden zusätzlich unter Schlafstörungen, generalisierter Angst oder Depressionen. Gerade bei therapieresistenter Symptomatik kann medizinisches Cannabis einen beruhigenden Effekt entfalten, ohne die emotionale Abgestumpftheit zu verstärken, wie sie bei manchen Psychopharmaka auftreten kann [14]. Studien zeigen, dass der gezielte Einsatz von Cannabinoiden dazu beitragen kann, die psychische Stabilität im Alltag zu verbessern – insbesondere nachts, wenn Erinnerungen besonders eindrücklich erlebt werden.
Eine groß angelegte Studie in Kanada untersuchte beispielsweise 104 männliche Insassen mit schweren psychischen Erkrankungen. Ihnen wurde synthetisches Cannabinoid verschrieben, was zu einer signifikanten Verbesserung der PTBS-Symptome und Schlaflosigkeit führte. Damit stellt Cannabis bei Schlafstörungen nicht nur eine symptomatische Hilfe dar, sondern kann auch zur Stabilisierung des gesamten Therapieverlaufs des PTBS-:innen beitragen. Zudem konnte der Konsum anderer Medikamente wie Neuroleptika und Beruhigungsmittel reduziert werden [7].
Studien zur Wirkung von Cannabis bei Soldaten mit PTBS
Eine prospektive Studie untersuchte über ein Jahr zwei Gruppen von PTBS-:innen: Eine Gruppe erhielt medizinisches Cannabis, die andere nicht. Die Cannabiskonsumenten berichteten von einer signifikant stärkeren Abnahme der PTBS-Symptome [8]. Am Ende des Beobachtungszeitraums war die Wahrscheinlichkeit, die DSM-5-Kriterien für PTBS nicht mehr zu erfüllen, bei den Cannabiskonsumenten 2,57-mal höher.
Die Ergebnisse der ersten placebokontrollierten Studie mit 80 Militärveteranen zeigten, dass THC die Amygdala-Reaktivität senken kann, was zu einer verbesserten Bedrohungsverarbeitung führte [9]. Gleichzeitig wiesen alle Gruppen, inklusive der Placebo-Gruppe, Verbesserungen auf, was auf einen starken Placeboeffekt hinweist. Dennoch bleibt die Cannabis-Therapie vielversprechend, insbesondere da sie eine direkte Beeinflussung des ECS ermöglicht.
Chancen und Risiken der Traumatherapie mit Cannabinoiden
Zusammenfassend deuten die bisherigen Studien darauf hin, dass die Cannabinoidtherapie eine vielversprechende Option zur Behandlung der PTBS darstellt. Bei der Anwendung von THC ist trotz der berichteten guten Verträglichkeit Vorsicht geboten. Die Eindosierung sollte langsam erfolgen, um mögliche Risiken zu minimieren.
Zudem ist es essenziell, den psychischen Gesundheitszustand der Cannabispatient:innen regelmäßig zu überwachen. Studien zeigen, dass eine Reduzierung des Endocannabinoidabbaus eine therapeutische Strategie gegen PTBS sein könnte [10]. Ebenso deutet epidemiologische Forschung darauf hin, dass Cannabiskonsum die Verbindung zwischen PTBS und schweren Depressionen oder Suizidgedanken verringern könnte [11].
Literatur
- Marsicano, G., et al. (2003). The endogenous cannabinoid system controls extinction of aversive memories. Nature, 418(6897), 530-534. https://doi.org/10.1038/nature00839
- Crombie, K. M., et al. (2019). Altered endocannabinoid signaling after exposure to psychosocial stress in PTSD patients. Psychoneuroendocrinology, 103, 276-285. https://doi.org/10.1016/j.psyneuen.2018.11.028
- Hindocha, C., et al. (2020). The role of cannabinoids in PTSD symptomology: A review of preclinical and clinical studies. Neuropharmacology, 174, 108168. https://doi.org/10.1016/j.neuropharm.2019.108168
- Roitman, P., et al. (2014). Preliminary, open-label, pilot study of add-on oral THC (dronabinol) in chronic PTSD. Clinical Drug Investigation, 34(8), 587-591. https://doi.org/10.1007/s40261-014-0212-3
- Elms, L., et al. (2019). Cannabidiol in the treatment of PTSD: A retrospective case series. Journal of Alternative and Complementary Medicine, 25(4), 392-397. https://doi.org/10.1089/acm.2018.0437
- Cameron, C., et al. (2014). The use of cannabis-based medicine for PTSD among incarcerated individuals. Canadian Journal of Psychiatry, 59(9), 487-493.
- Bonn-Miller, M. O., et al. (2022). Cannabis use and PTSD symptom reduction: A longitudinal study. Journal of Psychoactive Drugs, 54(1), 45-56.
- Rabinak, C. A., et al. (2020). The effects of THC on amygdala reactivity in PTSD patients. Biological Psychiatry, 88(6), 455-463.
- Danandeh, A., et al. (2018). The impact of cannabis use on PTSD symptomatology: A clinical overview. Journal of Cannabis Research, 2(1), 29-41.
- Lake, S., et al. (2020). Cannabinoid treatment for posttraumatic stress disorder: A systematic review. Frontiers in Psychiatry, 11, 828. https://doi.org/10.3389/fpsyt.2020.00828
- McGuire, P., et al. (2021). The association between cannabis use and PTSD symptom reduction: A meta-analysis of longitudinal studies. Psychological Medicine, 51(3), 440-453.
- Neumeister, A., Normandin, M. D., Pietrzak, R. H., Piomelli, D., Zheng, M.-Q., Gujarro-Anton, A., ... & Carson, R. E. (2013). Elevated brain cannabinoid CB1 receptor availability in post-traumatic stress disorder: a positron emission tomography study. Molecular Psychiatry, 18(9), 1034–1040. https://doi.org/10.1038/mp.2013.61
- Müller-Vahl, K. R. (2022). Cannabis und Cannabinoide: Grundlagen – Klinik – Therapie. MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.
- Lake, S., et al. (2020). Cannabinoid treatment for posttraumatic stress disorder: A systematic review. Frontiers in Psychiatry, 11, 828. https://doi.org/10.3389/fpsyt.2020.00828