Krankheitsbild, Diagnose und Standardtherapien
- 1. Häufigkeit von Schlafstörungen
- 2. Symptome und Auswirkungen von Schlafstörungen
- 3. Diagnose von Schlafstörungen
- 4. Leitliniengerechte Therapie von Schlafstörungen
- 5. Ursachen von Schlafstörungen
- 6. Schlaf und das Endocannabinoid-System (ECS)
- 7. Cannabis als Medizin bei Schlafstörungen: Die Studienlage
- 8. Risiken und Nebenwirkungen von Medizinalcannabis
- Literaturverzeichnis
1. Häufigkeit von Schlafstörungen
Schlafstörungen, insbesondere Ein- und Durchschlafprobleme, betreffen weltweit Millionen von Menschen. Auch in Deutschland sind sie ein häufiges Phänomen. Laut der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) leiden etwa sechs bis zehn Prozent der Bevölkerung an behandlungsbedürftigen
Schlafstörungen [1]. Besonders während der COVID-19-Pandemie stiegen die Insomnie-Diagnosen signifikant an. In Deutschland verzeichnet man seit 2010 einen Anstieg der Schlafstörungen bei Berufstätigen zwischen 35 und 65 Jahren um 66 % [2]. Laut dem DAK-Gesundheitsreport fühlen sich heute etwa 80 % der Arbeitnehmer von Schlafproblemen betroffen – das entspricht rund 34 Millionen Menschen. Zehn Prozent dieser Personen leiden sogar an der schweren Form der Insomnie, was einem Anstieg von 60 % im Vergleich zu 2010 entspricht [2].
2. Symptome und Auswirkungen von Schlafstörungen
Schlaf ist eine unverzichtbare Phase im Lebenszyklus, die sowohl für die körperliche als auch die psychische Regeneration entscheidend ist. Er trägt maßgeblich zur Aufrechterhaltung der Homöostase bei, also dem Gleichgewicht aller physischen und psychischen Funktionen im Körper [3]. Schlafstörungen können ernsthafte Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Sie beeinflussen nicht nur die Psyche und kognitive Fähigkeiten, sondern erhöhen auch das Risiko für chronische Krankheiten wie Diabetes, Schlaganfälle und neurologische
Störungen [3]. Im Folgenden werden die häufigsten Arten von Schlafstörungen und deren Symptome beschrieben.
2.1 Insomnie
Chronische Insomnie ist eine der am häufigsten diagnostizierten Schlafstörungen. Sie betrifft sowohl die Schlafqualität als auch die Tagesleistung und das allgemeine Wohlbefinden [4]. Eine Insomnie gilt als chronisch, wenn die Symptome über mindestens drei Monate bestehen bleiben.
Symptome der chronischen Insomnie
- Einschlafschwierigkeiten
- Durchschlafstörungen
- Vorzeitiges Erwachen [4].
Diese nächtlichen Störungen wirken sich stark auf den Alltag aus und können zu einer Reihe von Tagsymptomen führen, wie etwa:
- Ständige Müdigkeit und allgemeines Unwohlsein
- Konzentrations- und Gedächtnisprobleme
- Einschränkungen der Leistungsfähigkeit und sozialen Interaktionen
- Reizbarkeit und Stimmungsschwankungen
- Vermehrte Tagesschläfrigkeit [4].
2.2 REM-Schlafverhaltensstörung
Die REM-Schlafverhaltensstörung gehört zur Gruppe der Parasomnien. Sie äußert sich durch abnormales Verhalten während des REM-Schlafs, der Phase, in der wir am intensivsten träumen [5].
Symptome der REM-Schlafverhaltensstörung
- Bewegungen wie Schlagen, Treten oder Gehen im Schlaf
- Sprechen oder Schreien während des Schlafs
- Intensive, realitätsnahe Träume
- Selbstverletzungen oder Verletzungen anderer während des Schlafs [5].
2.3 Schlafbezogene Atmungsstörungen
Schlafbezogene Atmungsstörungen (SBAS) umfassen mehrere Krankheitsbilder, von denen das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom (OSAS) besonders hervorzuheben ist. Bei OSAS kommt es wiederholt zu einem Verschluss der oberen Atemwege während des Schlafs, was zu Sauerstoffmangel und einer Unterbrechung des Schlafes führt [6].
Typische Symptome des OSAS
- Atemaussetzer während des Schlafs
- Lautes Schnarchen
- Unruhiger Schlaf und häufige Schlafunterbrechungen
- Tagesmüdigkeit und Erschöpfung
- Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme
- Erhöhtes „Mikroschlaf“-Risiko beim Autofahren [6].
2.4 Schlafbezogene Bewegungsstörungen
Während des Schlafs können verschiedene Bewegungsauffälligkeiten auftreten, welche die Schlafqualität beeinträchtigen. Diese sogenannten schlafbezogenen Bewegungsstörungen umfassen einfache, stereotype Bewegungen, die den Schlaf stören können [7].
Beispiele für schlafbezogene Bewegungsstörungen
- Restless-Legs-Syndrom: Ein unangenehmer Bewegungsdrang in den Beinen, der oft mit Missempfindungen einhergeht.
- Rhythmische Bewegungsstörungen: Wiederholte, stereotype Bewegungen während des Schlafs.
- Schlafbezogener Bruxismus: Zähneknirschen, Diese Störungen können die Schlafqualität erheblich mindern und führen häufig zu anhaltender Müdigkeit sowie einem spürbaren Leistungsabfall im Alltag [7].
3. Diagnose von Schlafstörungen
3.1 Anamnese
Die Diagnose von Schlafstörungen beginnt mit einer umfassenden Anamnese sowie einer gründlichen Untersuchung des körperlichen und psychischen Zustands des Patienten. Screening-Instrumente spielen laut der S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen“ der DGSM eine zentrale Rolle bei der Diagnose und der
Bestimmung des Schweregrads von Schlafstörungen. Zu den bewährten Instrumenten gehört der Pittsburgher Schlafqualitätsindex (PSQI). Dieser Fragebogen ermöglicht eine schnelle Einschätzung des Ausmaßes der
schlafbezogenen Beschwerden und kann den ersten Hinweis auf eine Schlafstörung geben [8].
3.2 Weiterführende Diagnostik: Polysomnographie
Besteht der Verdacht auf organische Schlafstörungen, wie z.B. schlafbezogene Atmungsstörungen, kann eine Polysomnographie im Schlaflabor erforderlich sein. Diese Methode misst verschiedene biologische Parameter während des Schlafs und wird unter stationären oder ambulanten Bedingungen durchgeführt. Sie wird in folgenden Situationen empfohlen:
- Verdacht auf eine organische Ursache der Schlafstörung
- Schlafstörungen bei Personen mit erhöhtem Risiko für Selbst- oder
- Fremdgefährdung, wie etwa Berufskraftfahrer oder Personen, die gefährliche
- Maschinen bedienen [8].
- Schlaflosigkeit, die auf gängige Therapieansätze nicht anspricht
3.3 Kriterien zur Diagnose nichtorganischer Insomnie nach ICD-10
Laut der ICD-10-Klassifikation gelten folgende Kriterien für die Diagnose einer nichtorganischen Insomnie:
- Schlafprobleme treten mindestens dreimal pro Woche über einen Zeitraum von einem Monat auf
- Schwierigkeiten beim Ein- oder Durchschlafen oder eine schlechte Schlafqualität
- Übermäßige Sorgen über die Auswirkungen der Schlafstörung, vor allem in der Nacht
- Der Betroffene steht unter erheblichem Leidensdruck oder erfährt aufgrund der Schlafstörung Beeinträchtigungen im Alltag [8].
4. Leitliniengerechte Therapie von Schlafstörungen
4.1 Kognitive Verhaltenstherapie für Insomnien (KVT-I)
Schlafstörungen können durch nichtmedikamentöse und medikamentöse Ansätze behandelt werden. Die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnien (KVT-I) ist die empfohlene nichtmedikamentöse Behandlung für Erwachsene. Sie umfasst Entspannungsmethoden, Psychoedukation, Schlaf-Wach-Strukturierung und kognitive Techniken [8].
Die S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen“ legt fest, dass ideale Schlafmittel einen physiologischen Schlaf fördern und keine unerwünschten Nebenwirkungen verursachen sollten. Derzeit erfüllt keines der zugelassenen Schlafmittel diese Kriterien [8].
4.2 Pharmakotherapie nach der S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen“
- Benzodiazepine (z.B. Flunitrazepam, Temazepam) und Z-Substanzen (z.B. Zolpidem, Zopiclon) sind für Kurzzeitbehandlungen zugelassen. Ihre Anwendung sollte sorgfältig überwacht werden, um Risiken wie Abhängigkeit und Hangover-Effekte zu minimieren [8].
- Sedierende Antidepressiva wie Doxepin sind zur Therapie von Schlafstörungen zugelassen, während andere Antidepressiva (Agomelatin, Amitriptylin) häufig off-label verwendet werden [8].
- Neuroleptika (z.B. Melperon, Pipamperon) werden meist bei Schlafstörungen in der Geriatrie eingesetzt, während andere wie Quetiapin und Olanzapin nur bei begleitenden psychotischen Erkrankungen empfohlen werden [8].
- Antihistaminika (Diphenhydramin, Doxylamin) sind frei erhältlich, aber ihre Wirksamkeit wird aufgrund der unzureichenden Studienlage als fraglich eingestuft [8].
5. Ursachen von Schlafstörungen
Ein häufig verwendetes Modell zur Erklärung von Schlafstörungen ist das sogenannte 3-P-Modell. Es unterscheidet drei Kategorien von Faktoren, die Schlafprobleme beeinflussen: prädisponierende, auslösende und aufrechterhaltende Faktoren [4].
5.1 Das 3-P-Modell
Prädisponierende Faktoren (predisposing factors)
- Genetische Veranlagung: Einige Menschen haben ein genetisch bedingt erhöhtes Risiko, Schlafstörungen zu entwickeln
- Persönlichkeitsmerkmale: Charaktereigenschaften wie hohe Nervosität (Neurotizismus) oder ein perfektionistischer Lebensstil können das Risiko für Schlafprobleme erhöhen [4].
Auslösende Faktoren (precipitating factors)
- Stress: Beruflicher oder privater Stress kann zu Schlafproblemen führen [4].
Aufrechterhaltende Faktoren (perpetuating factors)
- Dauerhafter Stress und Übererregung: Chronische Schlafstörungen können durch anhaltenden Stress oder eine übermäßige Aktivierung des Nervensystems verschärft werden. Die Übererregung zeigt sich unter anderem durch häufiges Aufwachen und das Gefühl, während des REM-Schlafs wach zu sein [4].
5.2 Das Hyperarousal-Modell
Das Hyperarousal-Modell bietet eine Erklärung für Schlafstörungen, insbesondere Insomnie. Es beschreibt einen Zustand anhaltender Übererregung des Gehirns, der es Betroffenen erschwert, zur Ruhe zu kommen. Diese Überreizung betrifft sowohl die kognitive als auch die emotionale und körperliche Ebene, was zu Problemen
beim Ein- und Durchschlafen führt [4].
5.3 Gedankenkreisen als Auslöser von Schlafstörungen
Kognitive Modelle zur Entstehung von Schlafstörungen heben die Rolle von Sorgen und Grübelen hervor. Betroffene liegen oft wach und sind gedanklich stark mit belastenden Themen beschäftigt, was das Abschalten unmöglich macht. Häufig dreht sich dieses Gedankenkreisen um die Schlaflosigkeit selbst und deren mögliche
Auswirkungen, was die Problematik zusätzlich verschärft [4].
5.4 Substanzen, die Schlafstörungen verursachen können
Viele Medikamente und Substanzen können zu Schlafstörungen führen. Es ist daher wichtig, dass sowohl Ärzte als auch Patienten sich beim Gebrauch dieser Wirkstoffe der möglichen Nebenwirkungen bewusst sind. Im Folgenden sind einige der „schlafraubenden“ Substanzen aufgeführt:
Alkohol
Alkohol hat zunächst eine entspannende Wirkung, beeinträchtigt jedoch den natürlichen Schlafzyklus. Langfristig kann regelmäßiger Alkoholkonsum zu ernsthaften Schlafstörungen führen [8].
Antibiotika
Einige Antibiotika, wie Gyrasehemmer, können Schlafstörungen auslösen [8]. Dies gilt insbesondere bei längerer Einnahme.
Antidementiva
Medikamente zur Behandlung von Demenz, wie etwa Piracetam, können den Schlaf negativ beeinflussen und die Erholung in der Nacht beeinträchtigen [8].
Antidepressiva
Bestimmte Antidepressiva, insbesondere SSRIs (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer), steigern den Antrieb und können dadurch Insomnie begünstigen. Der erhöhte Serotoninspiegel im Gehirn kann das Ein- und
Durchschlafen erschweren [8].
Blutdruck- und Asthmamedikamente
Blutdrucksenker wie Betablocker sowie Asthmamedikamente, darunter Theophyllin und Beta-Sympathomimetika, können Schlafprobleme hervorrufen, da sie das Herz-Kreislauf-System und die Atmung beeinflussen [8].
Diuretika
Diuretika, die zur Entwässerung eingesetzt werden, führen oft zu häufigen nächtlichen Toilettengängen, was die Schlafkontinuität stört und zu einem Gefühl unzureichender Erholung nach dem Aufwachen führt [8].
Hormonpräparate
Hormonpräparate, wie Thyroxin zur Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen oder Steroide, können Schlafstörungen hervorrufen. Diese Substanzen greifen in den Hormonhaushalt ein und beeinflussen so den Schlaf-Wach-Rhythmus [8].
Stimulierende Substanzen
Koffein sowie synthetische Stimulanzien wie Amphetamine wirken anregend auf das zentrale Nervensystem. Diese Substanzen erschweren das Einschlafen und stören die Schlafkontinuität erheblich [8].
5.5 Aktuelle Forschung zu den Ursachen von Schlafstörungen
Neueste Forschungen haben gezeigt, dass die Regulierung des Schlafs eng mit dem Immunsystem und dem Endocannabinoid-System (ECS) verknüpft ist, was bedeutende Auswirkungen auf die Homöostase hat [10]. Das ECS spielt eine zentrale Rolle bei der Steuerung des Schlafverhaltens und beeinflusst sowohl das Ein- als auch das Durchschlafvermögen [10].
6. Schlaf und das Endocannabinoid-System (ECS)
Das Endocannabinoid-System (ECS), auch als körpereigenes Cannabinoidsystem bekannt, ist ein komplexes neuronales Netzwerk, das die Freisetzung von Neurotransmittern reguliert. Dieses zentrale Signal- und Kontrollsystem hat sich früh in der Evolution entwickelt und ist entscheidend für die Erhaltung der körperlichen
und psychischen Gesundheit. Es beeinflusst das zentrale Nervensystem (ZNS), die synaptische Plastizität, sowie Funktionen wie Schlaf, Stimmung, Aufmerksamkeit, Motivation, Gedächtnis, Appetit, Schmerzempfinden, Entzündungsprozesse und Neuroprotektion [11, 12]. Die Hauptaufgabe des ECS ist es, das gesunde Gleichgewicht aller physischen und psychischen Funktionen zu wahren und wiederherzustellen [13].
6.2 Die Rolle der Cannabinoid-Rezeptoren
Das ECS wirkt durch die körpereigenen Cannabinoide, die primär an den Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2 binden [14, 15]. Besonders die Aktivierung der körpereigenen CB1-Rezeptoren, die im zentralen Nervensystem und
insbesondere in schlafregulierenden Regionen wie dem Hypothalamus stark vertreten sind, spielt eine Schlüsselrolle bei der Beeinflussung des Schlafs [3]. Diese Rezeptoren regulieren die Freisetzung von Neurotransmittern, die für den Schlaf-Wach-Zyklus essenziell sind. Insbesondere die GABAerge und glutamaterge Neurotransmission werden durch das ECS moduliert: Während eine verstärkte GABAerge Aktivität den Einschlafprozess unterstützt und die Nicht-REM-Schlafphasen stabilisiert, beeinflusst die Modulation der Glutamatfreisetzung den Wachzustand. Diese Feinabstimmung verdeutlicht die komplexe Rolle des Endocannabinoidsystems in der Regulierung von Schlaf und Wachsein [3].
6.3 Die Rolle der Endocannabinoide im Schlaf-Wach-Zyklus
Die beiden wichtigen körpereigenen Cannabinoide, Anandamid (AEA) und 2- Arachidonoylglycerol (2-AG), spielen eine zentrale Rolle bei der Schlafregulation [3].
Ihre Konzentrationen schwanken im Laufe des Schlaf-Wach-Zyklus, was ihre Bedeutung für die unterschiedlichen Schlafphasen unterstreicht. Studien zeigen, dass die AEA-Spiegel während des Nicht-REM-Schlafs ansteigen, was auf ihre Rolle in der Erholungsfunktion des Schlafs hindeutet. Im Gegensatz dazu erhöht sich der 2-AG-Spiegel während des REM-Schlafs und scheint an der Modulation von Träumen und kognitiven Prozessen beteiligt zu sein [3].
6.4 Einfluss externer Faktoren auf das ECS
Das ECS reagiert auch auf externe Faktoren, die den Schlaf-Wach-Rhythmus beeinflussen. Anhaltender Stress, der Schlafmuster erheblich stören kann, verändert die Endocannabinoid-Spiegel im Körper [3].
6.5 Therapeutische Ansätze zur Regulierung des ECS
Jeder Mensch verfügt über einen messbaren Endocannabinoid-Tonus, der sich aus den Konzentrationen von AEA und 2-AG zusammensetzt [16]. Bei Störungen des Endocannabinoid-Systems können sowohl THC als auch CBD hilfreich sein, um das Gleichgewicht im ECS wiederherzustellen. Forschungsergebnisse zeigen, dass Cannabidiol (CBD), ein nicht psychoaktives Cannabinoid mit angstlösender Wirkung, die körpereigenen Cannabinoidspiegel erhöhen kann [17]. Tetrahydrocannabinol (THC), das am besten erforschte Cannabinoid der Cannabispflanze, kann wie Anandamid (AEA) an den körpereigenen CB1-Rezeptor binden [18]. Diese Interaktion mit dem CB1-Rezeptor kann schlaffördernde Effekte haben.
7. Cannabis als Medizin bei Schlafstörungen: Die Studienlage
Eine systematische Übersicht von 41 klinischen Studien untersuchte die Wirksamkeit und Verträglichkeit von THC- und CBD-haltigen Cannabispräparaten [19]. In drei Viertel der Studien zeigten sich signifikante Verbesserungen der Schlafqualität. Besonders Mischungen aus THC und CBD im Verhältnis 1:1 wurden als wirksam und nebenwirkungsarm beschrieben [19,20].
Eine doppelblinde, placebokontrollierte Studie aus dem Jahr 2023 bestätigte die Wirksamkeit eines ausgewogenen Cannabisextrakts (15 mg THC, 22,5 mg CBD) bei Schlaflosigkeit. Berichtet wurden eine verbesserte Schlafqualität, längere Schlafdauer und eine erhöhte geistige Klarheit. Nebenwirkungen waren mild und vorübergehend [20]. Insgesamt bewerteten 96 % der Studienteilnehmer die Cannabistherapie als hilfreich; die Mehrheit der Studienteilnehmer wünschte sich eine Fortsetzung der Behandlung [20].
7.1 Cannabis bei Schlafapnoe und REM-Schlafstörungen
Eine 2018 veröffentlichte randomisierte kontrollierte Studie (RCT) untersuchte die Wirkung von THC bei 73 Erwachsenen mit obstruktiver Schlafapnoe. Die Teilnehmer erhielten über sechs Wochen täglich entweder 2,5 mg oder 10 mg THC vor dem Schlafengehen. Beide Dosierungen reduzierten den Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI) signifikant und verbesserten die Schlafqualität [21].
Im Jahr 2017 ergab ein Review, dass Cannabis vielversprechend in der Behandlung von REM-Schlaf-Verhaltensstörungen sein kann [22]. Ein weiteres Review aus 2022 bestätigte, dass CBD das Potenzial besitzt, die Symptome bei Patienten mit REM-Schlafstörungen zu lindern und die Häufigkeit von Albträumen zu verringern [23].
7.2 Beruhigende und aktivierende Effekte von Cannabinoiden – Die Bedeutung einer individuellen Cannabistherapie
Forschungsergebnisse aus Schlaflaboren deuten darauf hin, dass THC beruhigende Eigenschaften hat [20], während die schlaffördernde Wirkung von CBD stark von der verwendeten Dosis abhängt. Bei einigen Patienten kann niedrig dosiertes CBD eher aktivierend wirken [20]. Dieses Potenzial sollte bei der Wahl der Cannabinoide und deren Dosierung berücksichtigt werden. Ein Review aus dem Jahr 2012 verdeutlichte, dass hochdosiertes CBD (150–600 mg/Tag) positive Effekte bei Schlaflosigkeit und sozialer Angststörung zeigt [24]. Eine vergleichbare Dosierung für THC wäre jedoch zu hoch, weshalb die Verwendung von ausgeglichenen Extrakten (1:1 oder 10/10) für solche Zwecke weniger geeignet erscheint. Daher könnte es effektiver sein, THC- und CBD-haltige Extrakte separat zu verabreichen, um die Dosierung der beiden Cannabinoide individuell anpassen zu können. Dies ermöglicht eine gezielte Anpassung der Therapie an die spezifischen medizinischen Bedürfnisse der Patienten.
7.3 Die Rolle von Terpenen und Indica-Hybrid-Cannabis bei Schlafstörungen
Eine umfassende Analyse von medizinischen Cannabispatienten in Kanada hat gezeigt, dass Indica-Hybrid-Cannabissorten bei der Behandlung von Schlafstörungen Sativa-dominanten Sorten überlegen sind [25]. Neben THC und CBD enthalten Indica-Hybride eine Vielzahl weiterer pflanzlicher Inhaltsstoffe, einschließlich
spezifischer Cannabinoide und Terpene. Diese Bestandteile tragen wesentlich zur Wirksamkeit von Cannabis bei Schlafstörungen bei [25].
8. Risiken und Nebenwirkungen von Medizinalcannabis
In Deutschland wird medizinisches Cannabis zunehmend als Therapie bei Schlafstörungen eingesetzt. Im Rahmen einer verantwortungsbewussten Therapie ist es wichtig, sowohl die therapeutisch nützlichen Effekte als auch mögliche Risiken zu berücksichtigen.
Ein wesentlicher Unterschied besteht zwischen THC und anderen Cannabinoiden. Die psychoaktiven Effekte, die bei manchen Personen auftreten, sind meist auf hohe THC-Dosen zurückzuführen. THC kann neben Stimmungsaufhellenden Effekten in dosisabhängiger Weise auch unerwünschte Nebenwirkungen wie Dysphorie,
Paranoia, Verwirrung sowie körperliche Symptome wie Schwindel, Müdigkeit, Mundtrockenheit, Übelkeit und Gedächtnisprobleme verursachen [26].
Andere Cannabinoide wie Cannabidiol (CBD) bieten therapeutische Vorteile, ohne bei hohen Dosierungen zu psychischen Nebenwirkungen zu führen. Im Gegenteil: Klinische Studien zeigen, dass CBD in hohen Dosierungen Psychosen bei Schizophrenie lindern kann, indem es die Aktivität des körpereigenen Cannabinoids Anandamid erhöht [27]. Zudem kann CBD die psychoaktiven Effekte von THC reduzieren. Eine randomisierte klinische Studie aus dem Jahr 2010 bestätigte, dass CBD die durch hohe THC-Dosen ausgelösten psychotischen Symptome verringert [28]. Auch Terpene wie z. B. Pinen können durch THC verursachte Nebenwirkungen wie Gedächtnisstörungen mildern [29]. Daher ist die sorgfältige Auswahl von Dosierung, Cannabinoiden und Terpenen entscheidend für eine effektive und sichere Cannabistherapie.
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