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Cannabis und Schizophrenie

Viele Betroffene fragen sich: Hilft Cannabis bei Schizophrenie – oder verschlimmert es die Symptome? Dieser Artikel beleuchtet Chancen, Risiken und den aktuellen Forschungsstand.

1. Dopaminhypothese und Dopamindefizit

Grundlagen der Dopaminhypothese

Die Dopaminhypothese, erstmals 1963 formuliert, basiert auf der Beobachtung, dass Neuroleptika, die seit den 1950er-Jahren verwendet werden, Dopaminrezeptoren blockieren. Diese Medikamente, heute besser als „Antipsychotika“ bekannt, sollen Schizophrenie-Symptome durch Blockade der Dopaminrezeptoren lindern. Die Hypothese besagt:

  1. Schizophrenie-Symptome resultieren aus einer Überaktivität des Dopamin-Systems im Gehirn [2].
  2. Die Wirksamkeit von Neuroleptika beruht auf ihrer Fähigkeit, Dopaminrezeptoren zu blockieren [2].

Aktualität der Dopaminhypothese

Die Dopaminhypothese stützt sich auf Studien zu Amphetaminen, die Symptome auslösen können, die der paranoiden Schizophrenie ähneln [2]. Allerdings beeinflussen Amphetamine neben Dopamin auch viele andere Neurotransmitter. Zudem lösen direkt wirkende Dopamin-Agonisten wie Apomorphin oder Bromocriptin, die zu einer erhöhten Dopaminaktivität führen, nicht in gleicher Weise wie Amphetamine Psychosen aus [2].

Eine alternative Erklärung für die Wirkung von Neuroleptika bzw. Antipsychotika ist, dass diese einen Zustand der neurologischen Unterdrückung herbeiführen, der die Intensität der psychotischen Symptome abschwächt [1]. Dies erscheint plausibel, wenn man bedenkt, welche große Bedeutung Dopamin bei geistigen und emotionalen Prozessen spielt. Das dopaminerge System ist essenziell für die kognitive Funktion und die Motivation. Es ist Teil des Belohnungssystems des Gehirns und spielt eine wichtige Rolle beim Empfinden von Freude [3]. Die Blockade eines so bedeutenden und „lebhaften“ Botenstoffs übt zweifellos eine ausgeprägte dämpfende Wirkung auf Gedanken und Gefühle aus, unabhängig davon, ob sie psychotischer Natur sind oder zu einem „gesunden“ Teil der Persönlichkeit gehören.

Dopamindefizit

Bereits 1991 stellten Wissenschaftler die Hypothese auf, dass Schizophrenie durch eine abnorm niedrige präfrontale Dopaminaktivität (die Defizitsymptome verursacht) gekennzeichnet ist, die zu einer übermäßigen Dopaminaktivität in den mesolimbischen Dopamin-Neuronen führt (die positive Symptome verursacht) [4].

Die Dopaminhypothese aus den 1960er Jahren, die besagt, dass eine Überaktivität von Dopamin die Symptome einer Schizophrenie verursacht, wird hingegen in neueren Forschungsarbeiten nicht bestätigt [1]. Stattdessen zeigen aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen, dass negative Symptome der Schizophrenie, wie Apathie und sozialer Rückzug, tatsächlich mit einem Dopaminmangel im präfrontalen Kortex verbunden sind [5].

Langfristige Behandlung mit dopaminhemmenden Antipsychotika kann besonders problematisch sein, wenn bereits ein Dopaminmangel vorliegt. Anticholinergika, die zur Reduzierung der Nebenwirkungen der dopaminhemmenden Antipsychotika eingesetzt werden, wirken wiederum als Dopaminagonisten und erhöhen den Dopaminspiegel [6].

Diese Medikamente können wie Neuroleptika, deren Nebenwirkungen sie reduzieren sollen, selbst zu erheblichen Nebenwirkungen führen (z. B. kognitive Beeinträchtigung, Verschlimmerung von Spätdyskinesien und Delirium) [6]. Dies verdeutlicht die große Notwendigkeit neuer besserer Alternativen.

2. Ist Cannabis das beste Medikament bei Schizophrenie?

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📚 Quellen: Studien [11], [12], [13], [25] u. a.

3. Psychische Gesundheit und das ECS

Neben Dopamin sind auch andere Neurotransmitter wie GABA, Glutamat, Serotonin und Noradrenalin an Schizophrenie beteiligt. Studien zeigen Volumenverluste in Hirnregionen wie dem präfrontalen Kortex, Hippocampus und Thalamus [7]. Das Endocannabinoid-System (ECS) reguliert die Freisetzung von Neurotransmittern und spielt eine wesentliche Rolle für die psychische Gesundheit.

Studien haben konsistente Belege für eine gestörte Endocannabinoid-Signalisierung bei Schizophrenie-Patienten geliefert [8]. Erhöhte AEA-Konzentrationen im Blut und in der Zerebrospinalflüssigkeit korrelieren mit psychotischen Symptomen [6, 7]. Veränderungen der CB1-Rezeptordichte wurden in Hirnregionen festgestellt, die mit Schizophrenie in Verbindung stehen, wie dem dorsolateralen präfrontalen Kortex und dem anterioren Cingulum [8].

4. Cannabiskonsum und Schizophrenie

Meta-Analysen zeigen, dass Cannabiskonsum das Risiko für das Auftreten psychotischer Symptome in einer dosisabhängigen Weise erhöhen kann [9]. Hohe THC-Konzentrationen korrelieren mit einem erhöhten Risiko, während Cannabis mit hohem CBD-Gehalt das Auftreten psychotischer Symptome reduzieren kann [8, 10]. Studien zu THC zeigen dosisabhängige Effekte bei Schizophrenie, wobei niedrige THC-Dosen in einigen Fällen die Symptome verbessern konnten [8].

CBD als Therapieoption

In einer von Leweke et al. in Deutschland durchgeführten randomisierten kontrollierten klinischen Studie zeigten schizophrene Patienten, die 28 Tage lang entweder mit CBD oder Amisulprid behandelt wurden, signifikante Verbesserungen ihrer psychotischen Symptome. Es wurde kein Unterschied in der klinischen Wirksamkeit zwischen den Behandlungen festgestellt [11]. Ohne die typischen Nebenwirkungen von Neuroleptika hervorzurufen, erwies sich CBD als genauso wirksam wie ein etabliertes atypisches Neuroleptikum der 2. Generation. Darüber hinaus stellten die Autoren einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Werte des körpereigenen Cannabinoids Anandamid (AEA) und dem Rückgang der psychotischen Symptome bei den mit CBD behandelten Patienten fest [11].

Eine positive Wirkung von CBD bei Patienten mit Schizophrenie wurde kürzlich in einer multizentrischen randomisierten kontrollierten Studie bestätigt [12]. In dieser Studie erhielt der Cannabispatient nach dem Zufallsprinzip entweder CBD (1000 mg) oder ein Placebo zusätzlich zu ihrer bestehenden antipsychotischen Medikation. Nach einer 6-wöchigen Behandlung wies die CBD-Kohorte im Vergleich zur Placebo-Gruppe ein geringeres Maß an positiven psychotischen Symptomen (Halluzinationen, Wahnvorstellungen) auf und zeigte eine größere Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit. In einer anderen randomisierten, placebokontrollierten Studie, in der mit Antipsychotika behandelte Patienten mit Schizophrenie CBD als Zusatztherapie erhielten, wurde jedoch keine Verbesserung der psychotischen Symptome festgestellt. Die Dosis war mit 600 mg pro Tag jedoch deutlich niedriger als in der zuvor zitierten multizentrischen Studie [13].

CBD (Cannabidiol) bietet eine gut verträgliche antipsychotische Alternative ohne die Risiken hoher THC-Dosierungen. Studien mit vulnerablen älteren Patienten mit Morbus Parkinson haben gezeigt, dass CBD auch in hohen Dosisbereichen gut verträglich ist und neben antipsychotischen Wirkungen einen positiven Einfluss auf zahlreiche Parkinson-Symptome haben kann [14]. Für das gute Nebenwirkungsprofil spricht auch, dass Epidiolex®, ein auf CBD basierendes Medikament, bereits für Kinder ab zwei Jahren zur Behandlung des Lennox-Gastaut- und Dravet-Syndroms zugelassen ist.

THC als Therapieoption

Medizinisches Cannabis sollte in der Dosierung langsam gesteigert werden, da hohe THC-Dosen Psychosen und andere schwere psychische Beeinträchtigungen auslösen können. Es ist wichtig, den psychischen Gesundheitszustand von Menschen mit Schizophrenie engmaschig zu überprüfen und die Therapie mit Cannabis sorgfältig abzuwägen.

5. Herausforderungen der herkömmlichen Pharmakotherapie

Die herkömmliche Therapie dieser Erkrankung umfasst in der Regel Neuroleptika bzw. Antipsychotika sowie eine Reihe von Begleitmedikamenten, die die Nebenwirkungen der Neuroleptika abmildern sollen. Allerdings sind auch diese Begleitmedikamente oft mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden [15].

Häufig werden zusätzlich stark beruhigende Benzodiazepine wie Lorazepam (Tavor®) eingesetzt, um anhaltende Angstzustände zu lindern, die trotz Neuroleptika und anderen dämpfend wirkenden Psychopharmaka bestehen bleiben können [16].

Antidepressiva gehören ebenfalls zum pharmakologischen Arsenal, das in der Schizophrenie-Behandlung gegenwärtig Anwendung findet. Bei fortbestehenden depressiven Symptomen trotz antipsychotischer Therapie sollte eine zusätzliche Therapie mit Antidepressiva in Erwägung gezogen werden. Diese Empfehlung ist, wie auch der Einsatz von Neuroleptika, Benzodiazepinen und Anticholinergika, in der Schizophrenie-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) verankert [16].

6. Umgang mit Nebenwirkungen der Neuroleptika („Antipsychotika“)

Bei schwerwiegenden Nebenwirkungen wie dem malignen neuroleptischen Syndrom, das Parkinson-ähnliche Symptome auslösen kann (auch „medikamenteninduziertes Parkinsonoid“ genannt), empfiehlt die Leitlinie den Einsatz von dopaminergen Medikamenten [16]. Diese Medikamente wirken den dopaminhemmenden Effekten der Neuroleptika entgegen.

Die Vielzahl unterschiedlicher Psychopharmaka, die zur Behandlung der vielfältigen Symptome der Schizophrenie eingesetzt werden oder die durch Medikamente verursachten Schäden reduzieren sollen, verdeutlicht den Bedarf an wirksamen und gut verträglichen Arzneimittelalternativen mit einem möglichst breiten Wirkspektrum, die sich auf die individuellen medizinischen Bedürfnisse der schizophrenen Patienten abstimmen lassen.

7. Cannabis als vielversprechende Alternative

CBD war auch in hohen Dosen von mehr als hundert Milligramm pro Tag gut verträglich und hat sich als ebenso wirksam in der Unterdrückung psychotischer Symptome gezeigt wie das potente atypische Neuroleptikum Amisulprid.

THC konnte in niedriger Dosierung zur Linderung von psychotischen Symptomen beitragen und wurde von Menschen mit Schizophrenie und bipolaren Störungen gut vertragen. Die zweiphasige Wirkung von THC, das in hohen Dosen vorübergehende Psychosen und kognitive Defizite auslösen kann, erklärt die konträren Effekte von THC. Vor allem aber unterstreicht sie die Notwendigkeit, bei diesen besonders vulnerablen Patienten mit einer sehr niedrigen THC-Anfangsdosis zu beginnen und diese nur bei Bedarf und bisher ausgesprochen guter Verträglichkeit vorsichtig zu erhöhen.

Der entscheidende Unterschied liegt in der pharmakologischen Wirkung beider Substanzen: THC wirkt als partieller Agonist an CB1-Rezeptoren, was zu einer verstärkten Ausschüttung von Dopamin im mesolimbischen System führt und somit psychotische Symptome verstärken kann[17]. CBD hingegen wirkt als negativer allosterischer Modulator von CB1 und zeigt eine hemmende Wirkung auf die Dopaminfreisetzung. Zudem interagiert es mit Serotonin- und Glutamatrezeptoren, wodurch es anxiolytische und möglicherweise antipsychotische Effekte entfalten kann[18].

In einer klinischen Studie mit Patienten, die an einer akuten Schizophrenie-Episode litten, wurde CBD als ergänzende Behandlung zu konventionellen Antipsychotika verabreicht. Die Ergebnisse zeigten eine signifikante Reduktion der Positivsymptomatik im Vergleich zur Placebo-Gruppe[19]. Ein weiterer Vorteil von CBD ist das günstige Nebenwirkungsprofil, da es im Gegensatz zu herkömmlichen Neuroleptika keine extrapyramidalen Störungen verursacht[20]. Trotz vielversprechender Ansätze besteht weiterhin Forschungsbedarf, um die optimale Dosierung und den langfristigen Nutzen von CBD als ergänzende Cannabis-Therapie bei Schizophrenie zu bestimmen.

8. Vergleich zwischen natürlichen Cannabinoiden und synthetischen Cannabinoiden

Ein zunehmendes Problem in der klinischen Praxis stellt der Missbrauch synthetischer Cannabinoide dar, die im Vergleich zu natürlichen Cannabisprodukten eine stärkere Affinität zu CB1-Rezeptoren aufweisen und dadurch eine ausgeprägtere psychotische Wirkung entfalten[21]. Studien zeigen, dass synthetische Cannabinoide wie JWH-018 und AM-2201 zu langanhaltenden psychotischen Zuständen führen können, die nicht immer reversibel sind[22].

Ein direkter Vergleich zwischen natürlichen THC-Produkten und synthetischen Cannabinoiden zeigt, dass letztere eine bis zu 100-fach höhere CB1-Bindungsaffinität besitzen, was zu einer übermäßigen Erregung des Endocannabinoid-Systems führt[23]. In Fallberichten wurden Patienten beschrieben, die nach dem Konsum von synthetischen Cannabinoiden schwerwiegende paranoide Wahnvorstellungen entwickelten, die über mehrere Wochen anhielten[24]. Dies unterstreicht die potenziell höhere Gefahr synthetischer Cannabinoide im Vergleich zu natürlichem Cannabis. Aufgrund der unkontrollierten Wirkstoffkonzentration und der oft unbekannten chemischen Struktur synthetischer Produkte ist das Risiko für Psychosen hier besonders hoch. Daher wird in der klinischen Praxis dringend davon abgeraten, synthetische Cannabinoide als therapeutische Alternative in Betracht zu ziehen.

Grundsätzlich ist weitere Forschung ist erforderlich, um die Rolle von THC und CBD in der Schizophreniebehandlung vollständig zu verstehen. Dies gilt auch für eine Reihe weiterer Wirkstoffe der Cannabispflanze, deren therapeutisches Potenzial bei weitem noch nicht vollständig geklärt ist.

17. Literaturverzeichnis